“Liebe Firmen, man merkt es, wenn Diversity- und Pinkwashing betrieben wird”

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Juni, auch bekannt als Pride-Month, ist der Anlass vieler Unternehmen  ihre Diversität zu betonen und zu feiern. Und das aus einem richtigen und wichtigen Grund. Manchmal jedoch trügt das Bild und es ist mehr Schein als Sein. Aus diesem Grund haben wir mit Transgender-Studentin, Dragqueen und Aktivistin Amy gesprochen:

Wieso ist Diversität wichtig und was können Unternehmen unternehmen, um Diversity- und Pinkwashing zu verhindern und trotzdem die LGBTQIA+ Community willkommen heißen?

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Wieso ist Diversität wichtig?

Meiner Erfahrung nach, wenn du kein Teil von irgendeiner Minderheit bist oder, wenn du selber keine Berührungspunkte hast, weil du Teil der Mehrheit bist, dann fehlen dir eben diese Bezugspunkte bzw. das Einfühlvermögen. 

Diversität soll auch nicht erzwungen werden. Minderheiten egal, ob mit Geschlecht oder Sexualität verbunden, sollten entmystifiziert werden. Wenn Leute keine Transgender-Personen kennen, wie sollen sie dann einen Eindruck bekommen wie diese Leute so sind? Wie sollen sie merken, dass sie vollkommen okay sind? Nicht, wie die Personen im Fernsehen oder die typisch lauten Transgender-Armerikaner*innen im Fernsehen.

Im Endeffekt siehst du das irgendwo auf einem Plakat stehen, aber eigentlich beschäftigst du dich nicht mit dem Thema. Deswegen denken die meisten nicht über Diversität nach, vielleicht weil doch auch die Sensibilisierung fehlt. Und wenn du keine Berührungspunkt hast, dann fühlt sich dieses Thema sehr weit weg an. Das will ich den Leuten auch nicht vorwerfen, denn das fällt mir zum Beispiel auch bei manch anderen Themen bei mir selbst auf.

Wie schafft man mehr Berührungspunkte?

Das ist natürlich die Frage. Wenn ich vielleicht wieder zu lauten Amerikaner*innen zurückkomme: Präsenz und Aktionen wie der Pride-Month sind richtig und wichtig, um Distanzen zu überwinden. Als Ansatzpunkt. Es sollte wichtig sein, dass jeder / jede Person, wenn sie über gewisse Themen nicht reden möchte, respektiert wird. Es soll aber auch Infopunkte geben, wo man hingehen kann, wenn man sich fragt: ”Ich weiß nicht, wie ich mit einer nicht binären Person zum Beispiel umgehen soll. Was nehme ich für Pronomen?”. Es muss Möglichkeiten geben, eine Sensibilisierung zu schaffen. Aufklärung ist wichtig!

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Wieso ist Diversität vor allem in der IT-Branche wichtig?

Meiner Erfahrung nach geht es weniger darum, dass Frauen oder queere Personen nicht die Möglichkeit haben, in die IT-Branche einzusteigen und aufzusteigen. Ich glaube es geht auch darum, dass die Branche für cis-Männer ausgelegt ist. Ganz im Sinne, wenn ich gesagt hätte: “Ja, ich möchte in die IT!”, dann hätte das jeder gefeiert. Aber die Tatsache, dass mich z.B auch niemand gefragt hat, ob ich in der IT-Branche durchstarten wollen würde bzw., dass prinzipiell keiner davon ausgeht, dass diese Karriere für mich passend wäre, weil es kein typischer Frauenberuf ist. Und das ist das Problem. Hier bei Codecool bin ich aber sehr überrascht gewesen, wie hoch der Frauenanteil ist.

Die IT-Branche ist am Weg zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Sie hat es noch nicht geschafft, aber es geht etwas in die richtige Richtung. Siehst du diesselbe Bereitschaft bei Transgender Personen bzw. diversem Geschlecht / Non-binär / LGBTQIA+?

Ich wurde schon mehrmals darauf hingewiesen, dass ich ein sogenanntes cis-passing habe. Das heißt, die Leute würden mich jetzt nicht auf den ersten Blick als Transgender wahrnehmen. Wenn mich jemand als Transgender sieht, ist das für mich vollkommen in Ordnung. Die Sache ist die, nehmen wir als Beispiel fiktiv den Namen Mohammed. Dann bist du dir ziemlich sicher, dass er vielleicht andere Wurzeln hat. Aber er kann ja auch Österreicher sein und fließend Deutsch sprechen. Nur, weil ich jetzt eine Frau bin, heißt es nicht, dass ich nicht transgender sein kann. Ich habe nur einen anderen Migrationshintergrund.

Worauf ich hinaus will: Es gibt vielleicht Probleme, dass du am Arbeitsplatz von der Seite schief angeschaut wirst, schlechte Kommentare hörst oder der eine oder andere seine Augenbraue hebt, die “Leidensgenoss*innen meiner Spezies” erleben müssen, die ich nicht erlebt habe. Nun schließt sich wieder der Kreis: Nicht jede*r hat diese Berührungspunkte. Ich selber habe in der IT keine, wirklich Null, negative Erfahrungen gemacht und das ist selten, dass ich das sagen kann. Hier bei Codecool, sowohl bei den Studierenden als auch den Mitarbeiter*innen fühle ich mich so unglaublich wohl.

Wieso das?

Die Quote an Frauen – 30 Prozent – ist so hoch. Aber das allein ist es gar nicht, sondern, auch die Vielfalt der Frauen und queeren Personen mit verschiedener Herkunft: Dunkle Hautfarbe, von arabischer Herkunft und so so viele verschiedene Lebensgeschichten. Das ist so unglaublich schön und es fasziniert mich, dass diese sich auch alle wohl zu fühlen scheinen. Keiner wird irgendwie besonders oder anders behandelt. Ich sehe queere Personen, die komplett frei sich hier ausleben dürfen und ich genieße diese Gegenwart. Jede*r respektiert einander und uns eint der Hass bzw. diese Liebe zum Programmieren.

Was würdest du Firmen raten, besonders in der IT-Branche, die diverser sein wollen?

“Pinkwashing” ist natürlich ein Problem. Also, wenn du nur im Pride Monat Juni diversen Content teilst.

Was würdest du Codecool raten?

Ich muss tatsächlich sagen, dass Codecool bzw. am Campus in Talent Garden, bereits Vorreiterrollen einnimmt. Sie stellen auf den Toiletten Hygieneartikel zur Verfügung und haben auch genderneutrale Toiletten eingeführt. Bei Codecool könnte ich jetzt nicht einmal akut sagen was man ändern könnte. Wir haben Frauen in Führungspositionen, sowie eine gute Diversity-Quote, da wir recht viele Frauen im Büro haben, aber auch eine unglaubliche Anzahl an weiblichen Coder*innen. Natürlich wäre eine weibliche Mentorin super, obwohl ich weiß, dass jetzt eine Mentorin aus Ungarn ein paar Wochen hier gearbeitet hat.

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Was würdest du den traditionelleren IT-Unternehmen in Österreich raten, wenn sie diverser sein wollen?

Angefangen, wie schon gesagt, bei den Hygieneartikel auf der Toilette. Das ist unglaublich respektvoll und gefällt mir immer sehr gut.

Wichtig ist auch immer eine offene Diskussionskultur. Wenn es anonym ist, soll es anonym bleiben. Wenn man es doch offen in der Arbeit anspricht, sollte dies das Arbeitsverhältnis nicht beeinträchtigen oder danach verändern.

Aufgeschlossenheit ist wichtig und Firmen müssen auch von vornherein einen allgemeinen Umgang pflegen: Eine Transfrau wünscht sich nichts sehnlicher, als wie eine Frau behandelt zu werden. Und natürlich umgekehrt. Wenn in einer Firma queere Personen arbeiten, dann fühle ich mich prinzipiell wohler. Das bedeutet mir viel, weil ich mich dann mit der Firma identifizieren kann.

Aber was kann man machen, wenn man eben diese Mitarbeiter*innen noch nicht hat oder vielleicht diese sich vielleicht nicht erkennbar zeigen wollen? Was kann der/die normale Cis-Mann/Frau machen, dass alle sich wohler fühlen?

Im Bewerbungsprozess finde ich es z.B einerseits immer sehr vorteilhaft, wenn M/W/X (Männlich / Weiblich / Divers) in der Stellenbeschreibung steht. Denn es spricht Bände, wenn eine Firma das nicht hinzufügt. Entweder sind diese Unternehmen vielleicht zu konservativ oder nicht am Laufenden oder sie wollen keine Diversität. Natürlich kann es auch eine Mischung davon sein. Andererseits finde ich es toll, wenn auch wirklich explizit drin steht: “Hey, das X steht dafür, dass wir Queer-freundlich sind, wir mögen Diversity und haben keine Angst davor.”

Außerdem ist es natürlich noch ganz wichtig auch zu diesem Commitment zu stehen – keine blöden Worte, Witze oder Blicke, sondern wirklich Unterstützung, Freundlichkeit und Respekt beim Bewerbungsgespräch und natürlich danach.

Dann kommen die Leute auch, sobald sie keine Angst und kein Bedürfnis haben, sich zu verstecken. Das ist ein guter Anfang – kleine Sachen und kleine Gesten zeigen eine große Wirkung. Und danach muss man zu dem stehen, was man sagt.

Faires und gleiches Gehalt bei gleicher Arbeit ist natürlich auch immanent. Selbstreflexion anstelle von Pinkwashing. So wie, wenn man zu Women’s Day 20% auf Parfums und Pflegeprodukte anbietet. Das wäre jedem ein Bericht zum gleichem Gehalt lieber.

Was ich abschließend noch sagen wollte: “Liebe Firmen, man merkt es, wenn Pink- und Diversitywashing betrieben wird. Man merkt es, wenn man “Happy Women's Day” wünscht, aber dann nur weiße cis-Männer in euren Führungsetagen sitzen und, wenn die einzigen Frauen die ihr angestellt habt, auch wenn es 20% sind, irgendwelche Reinigungskräfte sind. Das merkt man. Man merkt, wenn ihr genau im Pride Month eine Regenbogenfahne raushängen lässt. Man merkt es, wenn ihr genau da mit irgendwelchen Queer-Icons Werbung macht und das ganze Jahr sonst nicht. Wenn ihr verstummt, wenn globale Missstände sind, um den Gewinn nicht zu gefährden. Es gibt viel zu viele davon und, wenn ihr wirklich divers sein und leben wollt, dann macht etwas außerhalb der Promotionzeit für euer Image. Dann kann man euch anfangen ernst zu nehmen.”
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Amelie Simonitsch
Codecoolerin, Aktivistin und Dragqueen

Gegenfrage: Findest du schlecht, wenn Codecool diesen Artikel jetzt im Pride Month veröffentliche?

Nein, das ist okay, denn ich habe absolut nichts zu beschweren hier bei Codecool. Ihr lebt einen recht vorteilhaften Weg vor, bei dem sich queere und Diversity-Student*innen wohl fühlen. Ich habe hier eine Quote an jungen, queeren Personen, die ich noch nie erlebt habe, die auch wirklich diese “Euphoria” und diese Sicherheit und dieses Wohlsein im Umfeld von Leuten verspüren.

Wir wollen Diversität leben, wenn Sie also Feedback haben was Codecool besser machen kann oder andere Punkte, die dir in diesem Artikel fehlen, dann bitte nehmen Sie Kontakt auf, wir freuen uns auf einen respektvollen Diskurs! 

Aktivistin, Dragqueen und bald Programmiererin. Amelie Sabine Irma “Amy” Simonitsch (29) hat viele Rollen und ist außerdem noch eine kritische Stimme aus der LGBTQIA+ Community. Doch wie hat sie in die IT-Branche gefunden und gibt es Ähnlichkeiten mit ihrer geliebten Dragszene? Welche (queeren) Rollenvorbilder hat Codecoolerin Amy und was treibt sie an? Eins ist sicher, Amy ist eine Powerfrau und schreckt vor keiner Antwort zurück – Das ist Teil ihres Aktionismus!